Digitale PR
Bundestagswahl durch PR manipuliert?
Wenn Sie diesen Blogbeitrag lesen, liegt die Bundestagswahl 2021 gerade frisch hinter uns – der Souverän hat entschieden. Mit „Souverän“ ist der Inhaber der Staatsgewalt gemeint. In Deutschland ist das Volk Träger der Souveränität, denn in Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz heißt es „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Die Volkssouveränität kommt dadurch zum Ausdruck, dass das Volk durch Wahlen direkt oder indirekt seine Regierung selbst bestimmt. Doch wie frei und kompetent ist dieser Souverän in seinen Entscheidungen? Welche Akteure nehmen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung und den öffentlichen Diskurs? Immer wieder steht der Vorwurf im Raum, „internationale PR-Profis“ manipulierten als „skrupellose Meinungsmacher“ gezielt Wählerinnen und Wähler. Der RBB veröffentlichte vergangene Woche einen sehenswerten Film mit dem Titel „Wahlkampf undercover – wie PR-Profis uns manipulieren“ zu diesem Thema. Der Investigativ-Journalist Peter Kreysler recherchiert darin verdeckt im Umfeld internationaler Agenturen für politische Kommunikation. Zeit, einen Blick auf die Fakten zu werfen:
Bundesregierung sieht „grundsätzliche Gefahr“ durch staatliche sowie nichtstaatliche Akteure
Wahlkampf findet bereits seit einigen Jahren zunehmend digital statt. Diese Entwicklung hat sich durch die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Einschränkungen in der Realwelt jedoch deutlich beschleunigt. Allein in Europa nahm der wöchentliche Internetverkehr seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 um mehr als 20 Prozent zu. Im Gegensatz zum analogen Raum können Einflussakteure über virtuelle Instrumente grenzenlos agieren, indem sie regionale sowie sprachliche Grenzen und auch pandemiebedingte Beschränkungen überwinden. Deutsche Sicherheitsbehörden haben deshalb mehrfach vor möglichen Bedrohungen anlässlich der Bundestagswahl 2021 gewarnt. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang berichtet von einem „Interesse bestimmter Staaten, Einfluss auf die Bundestagswahl zu nehmen“. Die Bundesregierung nennt konkret „Propaganda und Desinformation“ als Mittel der Wahl, um schadhafte Narrative in Deutschland zu verbreiten.
Insbesondere die sozialen Medien sind anfällig für gezielte Kampagnen. „Digital Disinformation“ kann durch schlaue Algorithmen zielgerichtet an solche Menschen verteilt werden, die für falsche oder irreführende Informationen besonders empfänglich sind. Dabei kommt den Akteuren zugute, dass soziale Medien Informationen naturgemäß einfach und „snackable“ statt umfassend recherchiert und nuanciert präsentieren. Um die politische Willensbildung zu beeinflussen, eignen sich thematisch insbesondere gesellschaftlich kontrovers und emotional aufgeladen geführte Diskussionen. Auch hier werden soziale Medien geschickt missbraucht, deren Algorithmen Interaktionen wie Likes, Kommentare oder das Teilen von Nachrichten mit einem höheren Ranking belohnen. Die Folge: Die Falschinformation wird noch mehr Nutzern angezeigt. Damit wird ein Schneeballsystem geschaffen, das die Reichweite weiter erhöht. In der Regel werden falsche Accounts oder Social Bots genutzt, um beispielsweise Memes oder Sharepics mit gefälschten oder aus dem Kontext gerissenen Zitaten zu verbreiten. Ein weiteres ernstzunehmendes Phänomen sind sogenannte „Deep Fakes“, bei denen Politikern in Videos Sätze in den Mund gelegt werden, die sie nie gesagt haben. Unkritische Nutzer haben kaum Möglichkeiten, handwerklich gut gemachte Deep Fakes zu erkennen. Noch ist es allerdings sehr aufwändig, gut gemachte Deep Fakes zu produzieren.
Bundestagswahl: Die Rolle der PR-Agenturen
Die Diskussion, wie soziale Medien politische Entscheidungen beeinflussen können, ist nicht neu. Im März 2018 wurde beispielsweise der Vorwurf laut, die britische Datenanalysefirma Cambridge Analytica habe das Brexit-Referendum im Sinne Russlands beeinflusst und 2016 Donald Trump zur Präsidentschaft verholfen. Tatsächlich verfügte Cambridge Analytica nach eigenen Angaben über ein Psychogramm von 220 Millionen amerikanischen Facebook-Nutzern und etwa 20 Prozent aller Beiträge auf Twitter während des Wahlkampfes wurden von Social Bots erzeugt. Die Vorwürfe gegen Cambridge Analytica stellten sich später jedoch größtenteils als heiße Luft heraus. Doch es wurde deutlich: Um einen ganzen Wahlkampf zielgerichtet zu beeinflussen, sind professionelle Hilfe und entsprechende finanzielle Mittel notwendig. Hier kommen PR-Agenturen ins Spiel, oder nennen wir sie besser Kampagnen-Agenturen. Diese suchen für ihren Auftraggeber nach Slogans, die bei einer bestimmten Zielgruppe verfangen. Um zu wissen, welche Zielgruppe für welche Botschaften empfänglich ist, nutzen die Agenturen Datenmodelle aus den sozialen Netzwerken. Je mehr Daten über eine Person vorliegen, desto besser. Schon 10 Datenpunkte, wie beispielsweise Facebook-Likes, reichen aus, um eine Person besser einzuschätzen als ein durchschnittlicher Arbeitskollege. 70 Datenpunkte toppen sogar die Menschenkenntnis eines guten Freundes. Die entsprechenden Datensätze lassen sich über verschiedene Kanäle im Internet kaufen. Unnötig zu erklären, dass man es mit dem Datenschutz dann nicht so genau nehmen darf und entsprechende Kampagnen mittels Desinformation, Verschwörungstheorien und Fake News auch nur von unseriösen Agenturen angeboten werden.
Ablauf der Bundestagswahl ist sicher
Am Beispiel der USA sieht man, wie gefährlich politische Fake News sind. Dort glaubt fast ein Viertel der Amerikaner die Legende von der „gestohlenen Wahl“. Donald Trump selbst hatte das Narrativ einer angeblichen Wahlmanipulation immer wieder beschworen und massiv über die sozialen Medien geteilt. Beweise für seine Behauptung konnte er dafür freilich nie liefern und auch mehrere Gerichte wiesen entsprechende Klagen ab.
Auch an der Briefwahl werden wiederholt Zweifel gesät, beispielsweise durch BILD-TV-Chef Claus Strunz. Selbst Bundeswahlleiter Georg Thiel gibt zu, dass bei der Briefwahl nicht nachvollziehbar ist, ob der Wähler seine Stimme tatsächlich selbst abgegeben hat und dabei unbeeinflusst und unbeobachtet war. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Briefwahl jedoch mehrfach für verfassungskonform und wertete die Beteiligungsmöglichkeit höher als die Risiken für das Wahlgeheimnis.
Fazit
Gezielte Manipulation beeinflusst auch in Deutschland die Meinungsbildung vor Wahlen. Sowohl Umfang als auch Erfolg lassen sich allerdings nicht exakt quantifizieren und auch die Akteure und ihre Interessen bleiben oft im Dunkeln. Der Wahlprozess selbst ist glücklicherweise manipulationssicher, da er in Deutschland „offline“ organisiert ist.
Titelbild: Bianca Ackermann on Unsplash