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Kommunikationsdesaster bei AstraZeneca zerstört Vertrauen in Impfstoff

Written by Aleksandar Nikolov

17 Dezember 2020

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Die Corona-Pandemie hält die Welt weiterhin in Atem. Mittlerweile gibt es jedoch Hoffnung auf ein baldiges Ende in Form einiger aussichtsreicher Impfstoffkandidaten. Allerdings soll nicht zum wiederholten Male das Thema Corona ausgeschlachtet, sondern stattdessen die Bedeutung präziser und verantwortungsvoller Kommunikation bei gesellschaftlich relevanten Sachverhalten hervorgehoben werden.

Anfang November wurden die Namen Biontech/Pfizer auf der einen und Moderna auf der anderen Seite auf einen Schlag allen ein Begriff. Die Unternehmen veröffentlichten Erfolgsmeldungen zu ihren Impfstoffen mit Wirksamkeitswerten von über 90 Prozent. Zu Beginn der Forschung galt der vom britisch-schwedischen Konzern AstraZeneca und der Universität Oxford entwickelte Impfstoff als einer der aussichtsreichsten Kandidaten. Ein Bild, dass sich mittlerweile deutlich gewandelt hat. Statt über den Impfstoff selbst, wird mehr über die damit einhergehende Kommunikation sowie unklare Umstände im Rahmen der Studie diskutiert. Viele Fragen bleiben ungeklärt und das Vertrauen in den Impfstoff wurde massiv beschädigt.

Konkurrenz liefert – AstraZeneca muss nachziehen

Nach den Meldungen von Biontech/Pfizer und Moderna sah sich AstraZeneca womöglich plötzlich unter Zugzwang, eigene Resultate vorzustellen. So veröffentlichte man Zwischenergebnisse, die aber einerseits schwer verständlich waren und andererseits Zweifel an der Methodik der Studie hervorriefen.

Von der Entwicklung eines Impfstoffes bis zu seiner Zulassung vergehen im Normalfall mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte. Die Mittel, die die Corona-Pandemie beenden sollen, werden allerdings in Rekordzeit entwickelt. Insbesondere unter solchen Umständen benötigt die Bevölkerung die absolute Gewissheit, dass die Impfstoffe dennoch sicher sind.

AstraZeneca verkündete in seiner Pressemitteilung einen Wirksamkeitswert von 70 Prozent. Nachdem die Mitbewerber Werte von über 90 Prozent präsentierten, waren die 70 Prozent von AstraZeneca geradezu eine Enttäuschung. Zum Vergleich: Die Wirksamkeit der Grippeimpfung zur Influenza-Saison 2018/2019 lag bei lediglich 21 Prozent und schützte somit gerade mal jeden Fünften.

Man wies jedoch nicht darauf hin, dass die Studie aufgrund eines Fehlers vom ursprünglichen Protokoll abgewichen ist und so der Wirksamkeitswert von 70 Prozent zustande kam. Dies ist der Mittelwert zweier verschiedener klinischer Studien, wobei es deutlich weniger Studienteilnehmer als bei Biontech/Pfizer und Moderna gab. Während eine Testgruppe zunächst eine halbe und nach vier Wochen die volle Dosis erhalten habe, habe die zweite Testgruppe zweimal die volle Dosis bekommen. Kontraintuitiv: Die Wirksamkeit hat bei der ersten Gruppe 90 Prozent und bei der zweiten Gruppe ‚lediglich‘ 62 Prozent betragen. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Teilnehmerzahl der beiden Gruppen erhält man eine Wirksamkeit von 70 Prozent.

Das Kommunikationsdesaster nimmt seinen Lauf

Die Fachwelt hatte einige Fragen: Warum wurden zwei Studien mit unterschiedlicher Teilnehmerzahl sowie Differenzen hinsichtlich Alter und Vorerkrankungen vermischt? Warum unterscheiden sich die Effektivitätswerte je nach Dosierung so stark?

AstraZeneca und die Universität Oxford haben zur Entdeckung der wirksamsten Impfdosis unterschiedliche Aussagen getätigt – eine Seltenheit, dass sich zwei große Akteure bei einem gemeinsamen Projekt unzureichend oder gar nicht abstimmen.

Zunächst verkündete AstraZeneca, die unterschiedliche Dosierung sei eine bewusste Entscheidung gewesen. Danach ruderte man zurück und gab zu, dass dies ein Zufall gewesen sei. Der leitende Forscher der Universität Oxford hingegen sagte, dass die erste halbe Dosis keinesfalls ein Zufall, sondern eine nach Konsultationen bewusst getroffene Entscheidung gewesen sei. Wie sich herausstellte, erhielt die erste Studiengruppe beim ersten Mal nur die halbe Dosis, da die Fläschchen aufgrund eines Produktionsfehlers zunächst nur zur Hälfte befüllt wurden. Anstatt die betroffenen Studienteilnehmer auszuschließen, passte man die Struktur der Studie an, was einen gravierenden Verstoß darstellt: Die Forscher sind verpflichtet, sich an das anfangs festgeschriebene Protokoll zu halten. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die Studie und ihre Ergebnisse nicht je nach Bedarf interpretiert werden können. Weiterhin wurde kritisiert, dass der Dosierungsfehler nicht von AstraZeneca, sondern der britischen Impfinitiative kommuniziert wurde.

Darüber hinaus wurde in der Pressemitteilung von 131 Covid-19-Fällen berichtet – ohne anzugeben, ob diese in der Placebogruppe, unter den Niedrigdosis-Probanden oder denen, die zwei volle Dosen erhalten haben, aufgetreten sind. Zudem wurde auch bemängelt, dass, anders als bei den Mitbewerbern, nicht bekannt gegeben wurde, wie viele Geimpfte sich im Vergleich zur Kontrollgruppe infiziert haben, so dass sich auch der Wirksamkeitswert nicht überprüfen lässt.

AstraZeneca wollte sich nicht dazu äußern, warum die Aussagen nicht übereinstimmen. Die Universität Oxford hingegen ließ verlauten, dass es noch genug Zeit geben wird, dies zu kommentieren, wenn alle Ergebnisse vorliegen und in einer Fachzeitschrift veröffentlicht werden.

Schlechte Kommunikation schadet Reputation

AstraZeneca hat das Vertrauen in seinen Impfstoff durch mehrere Fehler erschüttert: chaotische Kommunikation, die Verbindung zweier Studien, der unklare Grund der unterschiedlichen Dosierung sowie das nachträglich veränderte Studiendesign. Nach einem solchen PR-Desaster bleibt nur der Schritt nach vorne. Das Unternehmen hat eine neue Studie angekündigt – mit mehr Testpersonen, auch älteren Probanden und welchen mit Vorerkrankungen. Diese soll nun verlässliche Daten liefern und das Vertrauen wiederherstellen.

Bis dahin werden die Impfstoffe der Mitbewerber vermutlich bereits auf dem Markt sein. Da Impfstoffe allerdings weltweit und auch für lange Zeit benötigt werden, wird auch AstraZeneca noch genügend Erfolg damit haben können.

Bei derart gesellschaftlich relevanten Themen geht die Wirkung präziser und vertrauenswürdiger Kommunikation über die rein fachliche, in diesem Fall medizinische, Dimension hinaus. Der Erfolg von Impfungen zur Eindämmung von Krankheiten hängt zu großen Teilen von der Bereitschaft der Bevölkerung ab, sich impfen zu lassen. Für Impfskeptiker und Corona-Leugner ist ein solches PR-Missgeschick eine willkommene Vorlage – wenn auch bei den beiden anderen Impfstoffen alles problemfrei und regelkonform verlaufen ist.

Titelbild:  CDC on Unsplash