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Was Corona mit dem Erkennen von Technologietrends zu tun hat
Die Masse der Bevölkerung hat sich wohl noch nie so oft mit exponentiellem Wachstum beschäftigt wie heute. Schuld ist die Corona-Krise. Unvorstellbar schnell steigt auf der ganzen Welt die Zahl der Infizierten. Noch vor zwei Wochen lag die USA mit etwas weniger als 20.000 Infizierten weltweit auf Platz 6 und damit zwei Plätze hinter Deutschland. Doch plötzlich stieg die Fallzahl dort rasant und nicht ganz eine Woche später führte die USA die weltweite „Rangliste“ bereits mit über 100.000 Infizierten an. Die Medien präsentieren uns täglich die dazu passenden exponentiellen Kurven und im Netz ging die unten dargestellte Grafik viral. Es ist allgemein bekannt, dass das menschliche Gehirn sich mit dieser Art von Dynamik schwertut. Der US-amerikanische Physiker Albert Bartlett prägte das Zitat „Die größte Beschränktheit der menschlichen Spezies ist ihre Unfähigkeit, die Exponentialfunktion zu verstehen“.
Am Anfang wirken die Zahlen winzig
Hinter dem sperrigen Begriff des exponentiellen Wachstums verbirgt sich nicht mehr als ein Wachstum, das sich ständig selbst beschleunigt. Als Beispiel dient oft ein indisches Märchen, in dem ein kluger Untergebener seinem König das Schachspielen beibringt. Als Dank hat er einen Wunsch frei. Der Untergebene wünscht sich, scheinbar bescheiden, in Reiskörnern entlohnt zu werden. Und zwar ein Korn für das erste Feld des Schachbretts, zwei Körner für das zweite Feld, vier für das dritte Feld und dann immer so weiter verdoppelt, bis alle 64 Felder des Schachbretts mit Reis gefüllt sind. Der Wunsch ist freilich unerfüllbar, weil auf dem Schachbrett am Ende der Rechnung eine so unvorstellbar große Menge Reis liegen müsste, dass diese der heutigen Weltjahresproduktion über einen Zeitraum von 1000 Jahren entspräche: Über 18 Trillionen Reiskörner oder anders ausgedrückt 500 Milliarden Tonnen Reis.
Auch Megatrends fangen klein an
Was hat das jetzt mit Technologietrends zu tun? Ein Trend ist eine angenommene Entwicklung in der Zukunft, die längerfristig und nachhaltig etwas bewirkt und verändert. An der exponentiellen Kurve ist Folgendes interessant: Als Referenz dient uns immer die Vergangenheit. Steht man nun zu Beginn eines Trends an irgendeiner Stelle der Kurve und blickt zurück, so sieht die Vergangenheit stets linear und alles andere als spannend oder bedrohlich aus. Im Roman „Fiesta“ von Ernest Hemingway gibt es in Kapitel 13 einen oft zitierten Dialog zwischen zwei Männern. „Wie bist du bankrottgegangen?“, fragt Bill Gorton. „Auf zweierlei Weise“, antwortet Mike Campbell. „Erst schleichend und dann plötzlich“. Dieser unter Ökonomen als „Hemingway Law of Motion“ bekannte Dialog lässt sich auf viele wirtschaftliche aber auch gesellschaftliche Veränderungen in unserem Leben übertragen: Der Wandel kommt erst sehr sehr langsam, dann aber gewaltig und scheinbar aus dem Nichts.
Hätten Sie den Siegeszug der Smartphones vorhergesagt?
Im Januar 2007 präsentierte Apple mit gewohnt viel Tamtam das erste iPhone und es begann für alle sichtbar die Ära der internetfähigen Mobiltelefone. Steve Jobs selbst bezeichnete das iPhone bei seiner Präsentation als „revolutionäres Produkt, das alles verändert“. Und in der Tat veränderte Apple an diesem Tag die komplette Art und Weise, wie das Internet und Mobiltelefone bis dato genutzt wurden. Aber wer hätte denn im Jahr 2008 den exponentiellen Siegeszug von Smartphones über die ganze Welt vorhergesagt? Und zwar nur mit den 2008 zur Verfügung stehenden Daten? Die meisten Menschen haben erst ab 2012/2013 verstanden, dass sich die Welt geändert hat. Schaut man sich aber an, wann einige heute milliardenschwere Unternehmen gegründet wurden, die in ihrem Kern mobile Technologie nutzen, so stellt man fest: Das geschah eben nicht 2013, zwei bis drei Monate bevor es die breite Masse begriffen hatte, sondern bereits einige Jahre vorher. Airbnb wurde 2008 gegründet, WhatsApp 2009, Uber 2009, Instagram 2010. Heute sprechen wir über Disruption.
Weak Signals aus der Coronakrise
Vielleicht bietet Corona die einmalige Chance, die Weak Signals, also die ersten schwachen Signale neuer Trends, zu lesen und in die Zukunft zu projizieren. Der Zukunftsforscher Matthias Horx geht jedenfalls davon aus, dass die Welt nach Corona nie mehr zur altbekannten „Normalität“ zurückkehren wird. Die Welt wie wir sie kennen, sie löse sich gerade auf. Das Arbeiten von zu Hause wurde für viele in der Krise zu einer Selbstverständlichkeit und hat sich vielfach in der Praxis bewährt. Die Pendlerscharen morgens um 9, die sich wie Lemminge in Bus und Bahn drängten – plötzlich verschwunden. Und sind flächenintensive Bürogebäude in Zeiten von Wohnraumknappheit und explodierenden Mieten wirklich notwendig? Statt den Flieger zum Meeting von München nach Berlin zu nehmen, wird nun der Videokonferenz der Vorzug gegeben. Lernen kann plötzlich digital sein und muss nicht zwangsläufig in der Schule stattfinden. Und Dank Amazon wird trotz geschlossener Baumärkte zuverlässig Ersatz für die kaputte Heckenschere geliefert. Welches dieser Weak Signals wird überleben? Wie wird sich die Zukunft gestalten? Vielleicht erlaubt uns Corona in vielen Bereichen unseres Lebens einen Vorgeschmack auf die neue Welt.
Titelbild: Omar Prestwich on Unsplash
Beitragsbild: Michael Reuter on Twitter