Storytelling

Achtsame Sprache: Worte, Storys, Denken, Wirklichkeit

Written by Heike Hering-Haas

2 Juli 2020

Share

Der gewaltsame, tragische Tod von George Floyd hat überall auf der Welt Demonstrationen ausgelöst und die Debatte um Rassismus vehement in die Öffentlichkeit zurückgeholt. In Deutschland erstreckt sich diese Debatte bis ins Grundgesetz hinein. Der Vorschlag der Grünen, im Artikel 3 des Grundgesetzes den Begriff „Rasse“ zu ersetzen, erregt die Gemüter und hat zu hitzigen Debatten im Parlament und in der Gesellschaft geführt. Mein erster Gedanke war: „Das ist doch übertrieben. Der Schutz vor Diskriminierung wurde im Grundgesetz nach den Erfahrungen der Geschichte doch bewusst verankert“, kam ich bei genauerer Betrachtung schnell zu der festen Überzeugung, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht und achtsame Sprache keine Option sondern ein Muss ist. Die französische Nationalversammlung hat den Begriff übrigens schon 2018 aus ihrer Verfassung gestrichen.

Rassismus steckt in der Bedeutung des Wortes

Selbst wenn wir nicht absichtlich diskriminieren wollen, tun wir es, denn der Rassismus steckt in der Bedeutung des Wortes, nicht in der Absicht der Sprechenden. Benutzen wir also das Wort „Rasse“ weiter, impliziert dies, dass es verschiedene (Menschen) Rassen gibt.

Doch die Vorstellung, Menschen in sogenannte „Rassen“ einzuteilen und diese dann zu hierarchisieren ist eine menschengemachte Ideologie. Sie ist alles andere als ein Naturgesetz. Entstanden ist diese Irrvorstellung während der Kolonisierung im 16. Jahrhundert, als Menschen vom afrikanischen Kontinent entrechtet, als Arbeitskräfte versklavt, vergewaltigt und ermordet wurden. In Europa wurden diese Verbrechen damit gerechtfertigt, dass die Menschen dort unterentwickelt und besonders „naturverhaftet“ seien. Fortschritt und Zivilisation müssten ihnen erst– notfalls mit Gewalt – „gebracht“ werden. Weil Rassismus also wichtig war, um zu legitimieren, warum einige mehr Zugang zu Menschenrechten und Ressourcen haben sollten als andere, wurde lange versucht, die Vorstellung von “Rassen” als „natürlich” oder „legitim” darzustellen. Auch die Wissenschaft machte da keine Ausnahme: Sie erforschte und „bewies“ jahrhundertelang, es gäbe menschliche „Rassen“ und natürliche Rangordnungen, also qua Biologie „bessere” und „schlechtere” Menschen. (Quelle: Amadeu Antonio-Stiftung). Inzwischen hat die Universität Jena anlässlich der 112. Jahrestagung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft in ihrer Jenaer Erklärung 2019 (Untertitel: „Das Konzept der Rasse ist das Ergebnis von Rassismus und nicht dessen Voraussetzung“) dieses Weltbild ausdrücklich zurecht gerückt. Obwohl von vielen Wissenschaftlern längst widerlegt, hält sich der Glaube daran auch heute weiterhin hartnäckig.

Sprache muss reflektiert werden

Das Grundgesetz ist ein Kind seiner Zeit. Mit der Veränderung unserer Lebensrealitäten und Gedankenwelten verändert sich auch unsere Sprache. Neue Wörter entstehen (z.B. Smartphone, chatten, Digitalisierung), existierende Wörter erhalten neue Bedeutung/Denotation (z.B. Maus – neue Bedeutung: Computermaus) oder Konnotation/ assoziative Mitbedeutung (z.B. Ratte – Konnotation: bringt Krankheiten). Begriffe wie Neger, Negerkuss oder Zigeuner verschwinden dank aktiver Bewusstseinsschaffung und Reflektion zunehmend aus unserer Sprache. Dass der Begriff „Rasse“ in unserer Verfassung (!) ersetzt werden muss, ist also längst überfällig.

Sprache prägt Weltsichten

Auch wenn sich Rassismus mit dem Verschwinden des Begriffs „Rasse“ aus dem Grundgesetz leider nicht in Wohlgefallen auflösen wird, so wird ein deutliches Zeichen gesetzt, denn, so bringt es die Linguistin und Kommunikationsexpertin Dr. Clara Herdeanu auf den Punkt:

 „Mit meiner Wortwahl lege ich bewusst und unbewusst fest, welche (Neben-)Bedeutungen für mich und mein Weltbild besonders prägend und wichtig sind. In meinem Sprachgebrauch gebe ich also Spuren meines Denkens zu erkennen.“

Perspektivwechsel hilft auch beim Storytelling

Für PR-Schaffende ist achtsame  Sprache elementarer Bestandteil der Arbeit. Mit diesem „Produktionsmittel“ sorgfältig umzugehen, ist für uns als Storytelling-Agentur oberstes Gebot. Nur wie schützt man sich davor, versehentlich in Fettnäpfchen zu treten? Hier hilft die „Goldene Regel“ des Linguisten Anatol Stefanowitsch, die er in seinem Buch Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen formuliert. Es geht darum, die Perspektive zu wechseln: Würde ich mich in einer konkreten Situation so behandeln lassen? Dafür reicht es nicht, wenn ich mir als weiße Frau einfach so vorstelle, wie es wohl wäre, schwarz oder transgender zu sein. Stattdessen sollte ich mich an eine Situation erinnern, in der ich – als eigentlich Privilegierte – mal nicht so privilegiert war und das Gefühl dabei wachrufen. Für die Sprache folgt daraus: Stelle andere sprachlich stets so dar, wie du willst, dass man Dich darstellt!

Titelbild: James Eades on Unsplash